SJV-News
Fred Oberhauser war den Schriftstellern mit Begeisterung auf der Spur
Ein Nachruf von Stefan Miller
Wenn er die Bundesliga im Fernsehen verfolgte, hatte er meistens zwei Bücher vor sich, auf jedem Oberschenkel eines. Er suchte Zitate heraus und recherchierte, wo Schriftsteller etwas geschrieben hatten. Dann sah er sich die Welt mit den Augen der Literaten an und sah sie verwandelt. Diese Verwandlung nannte er literarische Topographie. Sie hat ihn zeitlebens so begeistert, dass er zusammen mit seiner Frau Gabriele den literarischen Führer durch Deutschland schrieb, das Standardwerk schlechthin, wenn man wissen will, wo ein Schriftsteller Spuren hinterlassen hat. Leider reichte der Platz nicht, um all das aufzunehmen, was Fred wusste. Dem westdeutschen Führer folgte ein literarischer Reiseführer durch Berlin und ein gesamtdeutscher mit fast 1.500 Seiten. Auch das war noch zu wenig. Bis zu seinem Tod sammelte Fred Oberhauser weiter Informationen, um Schriftseller in Szene zu setzen, ihre Arbeit vor dem Vergessen zu bewahren. Noch mit 92 Jahren versuchte er, der kein Internet hatte und noch nicht einmal Schreibmaschine schrieb, sondern alles mit der Hand notierte, ein Literaturportal Saarland im Netz zu gründen.
Trotz seines emsigen Fleißes und seines Elefantengedächtnisses und obwohl er Professor h.c. wurde, Fred Oberhauser war nicht in erster Linie Wissenschaftler sondern Überzeugungstäter. Schon in russischer Kriegsgefangenschaft veranstaltete er literarische Abende, an denen er Gedichte auswendig rezitierte, nachdem er tagsüber unter Tage geschuftet hatte. Später als Literatur- und Kulturredakteur beim Saarländischen Rundfunk versuchte er Hörer und Zuschauer mit seiner Begeisterung anzustecken, und das gelang. Wer einmal mit Fred Oberhauser durch Lothringen gefahren ist, hat von dieser Region mehr verstanden, als nach der Lektüre von dicken Historienschinken. Mühelos stellte er Bezüge von den Kelten bis Robert Schumann her, erläuterte, warum der Bahnhof in Metz ein politisches Denkmal ist, was die Hauptstraße in Fenetrange mit einem Roman des Barockdichters Moscherosch zu tun hat, oder folgte den Spuren Gustav Reglers über den Saargau. Und wenn er die Autoren mit empathischen Aussagen über diese Region zitierte, rührte es ihn selbst so, dass er Tränen in den Augen hatte und auch seine Begleiter hingerissen waren. So sind wir häufig über Land gefahren. Seine Leidenschaft war sprichwörtlich. Wenn er etwa für die Gedenktafel zu Ehren Goethes am Ludwigsplatz kämpfte, kannte er kein Pardon. Sein Lachen hallte durch die ganze Kantine des Saarländischen Rundfunks.
Als ich meinen ersten Beitrag für seine Literaturredaktion machte, beschimpfte er mich, weil ich ihn gesiezt hatte: „Du Lazeroner, wenn du das noch ämol machschd, gebschde enna aus“. Wir fuhren oft übers Land, und er hat mir gezeigt, dass es eine Verbindung gibt, zwischen historisch fundiertem Weitblick und der Verwurzelung in der saarländischen Heimat. Das hat er dann auch in seinem Dumont Kunstführer Saarland brillant vorgeführt. Diese lebendige Art der Kulturvermittlung, ob im Fernsehen im Kulturspiegel, der Serie Fahren sie uns nach oder in der Bücherlese im Radio. Er hat uns gelehrt dieses Land zu lesen.
Wer kann das heute noch? Ach, er reißt eine Lücke.